Berliner Didaktik
In der Schule der lerntheoretischen Didaktik, oft auch mit Berliner Didaktik
(Heimann/Otto/Schulz 1965) bezeichnet, wird Didaktik als Theorie des Lehrens
und Lernens verstanden. Der Lehrende hat unter Berücksichtigung der Elemente
verschiedener Bedingungsfelder seine Entscheidungen in den jeweiligen
Entscheidungsfeldern so zu treffen, dass die gewünschten Erfolge erreicht
werden können.
Die Frage, die sich hier also stellt ist: "Wie soll man den
Unterrichtsstoff vermitteln?"
Dieses Modell eignet sich somit zur Analyse
und Konstruktion von Unterricht und wird definiert durch
- zwei Bedingungsfelder
- vier Entscheidungsfelder
Die 2 didaktischen Bedingungsfelder
Die soziokulturellen
Voraussetzungen
Die Tendenzen zur Wahrung bestimmter gesellschaftlicher Traditionen
und zur Durchsetzung moderner Trends sind soziokulturelle Voraussetzungen
des Unterrichts, die ihn beeinflussen und die der unterrichtete Schüler
seinerseits beeinflußt.
Mit dem Zusammenschluss unterschiedlichster Schüler
in einer Zielgruppe(Klasse) entsteht eine neue soziokulturelle Situation.
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Klassenstärke, Schülerauswahl, Gruppenordnung, Kooperation, Rivalisation
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Schülerordnung, Lehrplan, Ausstattung, Kollegium
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Die
anthropogenen Voraussetzungen
Der Unterricht muss mit der Vorgeprägtheit des an ihm Teilnehmenden rechnen,
denn sowohl Schüler als auch Lehrer bringen ihre Anlagen
mit und ihre Erfahrungen in ihn ein. Wer mit ihnen nicht rechnet, wird
vielleicht erfahren, dass sie sich gegen seinen Willen durchsetzen.
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Lehr- und Lernkapazität,
Geschlecht, Alter, Milieu, Individuallage --->
jedes Beteiligten |
Kontaktnahmen, Zielbezug, Verfahrensangepasstheit, Leistung
---> der
Agierenden | |
Die 4 didaktischen
Entscheidungsfelder
Intentionen
Welche
Zielsetzung hat der Unterricht?
Der Unterrichtende wird versuchen Lernprozesse in der kognitiven, der
emotionalen oder der pragmatischen Dimension anzuregen und zu
steuern. Mit dieser Erkenntnis kann jeder einzelne Lehrer seine "intentionale
Schlagseite" feststellen und erwägen, ob er sie uneingeschränkt bejahen oder
vielleicht behutsam korrigieren sollte.
- Intentionen der kognitiven Dimension wenden sich an den
Menschen, der seine instinktiven oder erlernten Verhaltensweisen unterbrechen
kann, um Informationen zu ordnen, zu verbinden, tu trennen, und für neue
Zwecke umzustellen.
- Intentionen der emotionalen Dimension wenden sich an den
Menschen, der seine Wahrnehmungen mit Lust- oder Unlustgefühlen begleiten kann
und sich durch Gegenstände in Zustände versetzen läßt.
- Intentionen der pragmatischen Dimension wollen nicht
gedankliche oder gefühlsmäßige Orientierung bewirken, die dann einmal im
Verhalten wirksam werden kann. Sie zielen auf die äußere Aktivität(das
Handeln) gegenüber der Welt der Sachen und der Mitlebenden.
Die Dimensionen können qualitativ unterschiedlich angesprochen werden.
Qualitätsstufe |
kognitive Dimension |
pragmatische Dimension |
emotionale Dimension |
1. Anbahnung |
Kenntnis |
Fähigkeit |
Anmutung |
2. Entfaltung |
Erkenntnis |
Fertigkeit |
Erlebnis |
3. Gestaltung |
Überzeugung |
Gewohnheit |
Gesinnung |
Mit Hilfe einer solchen Ordnung macht der Unterrichtende sich deutlich, auf
welcher Stufe er seine Schüler anspricht.
- Die Anbahnungsstufe ist ein Niveau, auf dem auch außerhalb
der Schule laufend kognitive, emotionale und pragmatische Lernprozesse
angeregt werden.
- Die Gestaltungsstufe gestaltet das Verhältnis zu
Erkenntnissen, Erlebnissen und Handlungsvollzügen und beeinflußt derart die
folgenden Lernprozesse.
- Die Entfaltungsstufe ist vielleicht die spezifische
Wirkungsmöglichkeit des Schulunterrichts, denn Kenntnisse werden in
Erkenntniszusammenhänge gebracht, Fähigkeiten zu Fertigkeiten entwickelt,
Erlebnisfähigkeiten werden entfaltet. So können sich wünschenswerte
Gesinnungen, Gewohnheiten, Überzeugungen bilden oder zumindest nicht gehindert
werden, sich zu bilden.
- Kenntnisse
- 800 n. Chr. wurde Karl der Große zum Kaiser gekrönt.
- 2 mal 2 ist 4.
- Die Kartoffel ist ein Nachtschattengewächs.
- Erkenntnisse
- politische Bedeutung der Krönung Karls durch den Papst verstehen
- Einsicht in mathematische Gesetze gewinnen
- Prinzipien der biologischen Systematik klar werden
- Überzeugungen
- wenn Kenntnisse und Erkenntnisse zu einer Haltung führen, die wieder das
Erfassen neuer Kenntnisse und Erkenntnisse beeinflußt
- Fähigkeiten
- Das ABC schreiben können.
- Die Tonleiter spielen.
- Einen Spaten richtig ansetzen.
- Fertigkeiten
- Einen Brief schreiben können.
- Ein Lied mit Begleitung spielen können.
- Einen Garten umgraben können.
- Gewohnheiten entstehen daraus, wie
- im Briefwechsel stehen
- selbst musizieren
- ein Stück Land bebauen
- Anmutungen bzw. eine gewisse emotionale Bewegtheit
- auf die Maserung eines Holzes aufmerksam machen
- ein Gedicht sprechen
- Lieblingsplatte auflegen
- Erlebnisse
- Das Gefühl, lebensbedeutsame Eindrücke erfahren zu haben
- Gesinnungen
- Haltung, die aus Erlebnissen gegenüber den Erlebnisbereichen entsteht
- hängt von Erlebnissen der Schulzeit ab, wie man gegenüber der Schule
gesinnt ist
Thematik
Was wird
gelehrt?
Erst die Verbindung von Intentionalität und Thematik ergeben das
Unterrichtsziel. Dennoch hat der Inhalt, der Gegenstand, das Thema der
intendierten kognitiven, emotionalen, pragmatischen Prozesse ein selbstständiges
Moment des Unterrichts, dessen eigene Struktur im Unterricht angemessen
angeboten oder zumindest beachtet werden muss.
Differenzierung:
- Strukturzusammenhang:
- Strukturmomente registrieren
- Verbindung zwischen ihnen feststellen
- Bedeutungsschichtung:
- verschiedene werden vom Gegenstand angenommen
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Bsp: Erarbeitung von Vorschlägen für eine Pausenordnung
- Strukturmomente: Verlassen der Arbeitsplätze, Aufenthalt bei
gutem bzw. schlechtem Wetter, Aufsuchen der Arbeitsplätze,
Verantwortlichkeit
- Bedeutungsschichten: Regelsystem selbst und die darin
legalisierten Interessen und moralischen
Auffassungen
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- Fachbezogenheit: thematische Ordnungen:
- vorfachlich: In der Umgebung des Lernenden, wie im Fall des der
Schule benachbarten Kaufhauses, das als Teil eines planmäßigen Rundganges
durch den Wohnbezirk behandelt wird
- fachspezifisch: z.B. das Thema Stromspannung als Teil der
Elektrizitätslehre
- fachübergreifend: z.B. der Themenkreis Technisierte
Massengesellschaft , in den das Thema Automation
gehört
Methodik
Wie wird der
Stoff vermittelt?
Die Verfahrensweisen, mit denen der Unterrichtsprozeß strukturiert werden
kann, in dem Intentionen und Themen gelehrt werden sollen, sind von
unterschiedlicher Reichweite und sollen wie folgt differenziert werden.
- Methodenkonzeptionen sind Verfahrensweisen, die von einem
Gesamtentwurf des Unterrichtsverlaufs her die einzelnen Unterrichtsschritte
determinieren.
- Ganzheitlich-analytische Verfahren gehen von einem
Gesamteindruck(Filmerlebnis, Exkursion) aus, um ihn in seinen Aspekten zu
klären und so zu einem präzisierten und differenzierten Gesamtbild zu
verhelfen.
- Elementenhaft-synthetische Verfahren bauen aus Wissenselementen
Wissenszusammenhänge auf.
- Projektverfahren gehen von Zielsetzungen aus, die auf
Schülerinitiative zurückgehen oder jedenfalls nicht allein auf
Lehrerinitiative, und suchen sie in gemeinsamer Arbeit zu planen,
arbeitsteilig zu lösen und dann der Kritik zu unterwerfen.
- fachgruppenspezifische Verfahren sind speziell im Fachbereich
entwickelte Verfahren.
- Artikulationsschemata strukturieren den Unterrichtsprozeß
nach den vermuteten Lernphasen der Schüler und den ihnen jeweils zugeordneten
Lernhilfen der Lehrer oder Mitschüler. Es gibt eine Reihe mit bisher
empfohlenen Stufungsreihen. Das letzte weithin akzeptierte hat Heinrich R o t
h angeboten.
Stufe der Motivation – Stufe der Schwierigkeiten – Stufe der Lösung –
Stufe des Tuns und Ausführens – Stufe des Behaltens und Einübens – Stufe des
Bereitstellens, der Übertragung, der Integration.
Drei Variationen der Stufen: |
- Lernprozeß ergibt sich von selbst
- Bewußtes von vornherein vom Lehrer angestrebtes Lernen
- Vom Lehrer angestoßenes Lernen
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- Sozialformen des Unterrichts variieren das Verhältnis
zwichen dem Lernen von etwas und dem Lernen mit anderen.
- Im Frontalunterricht haben es alle Schüler der Klasse mit dem
gleichen gegenständlichen Lernziel und zugleich mit allen Mitschülern zu
tun.
- Die Kreissituation ist auch Frontalunterricht, aber erleichtert
das Gespräch der Schüler untereinander.
- Im Teilgruppenunterricht kommt man in bezug auf den
Lerngegenstand häufiger zu Initiativen und hat in der Regel häufiger Kontakt
mit anderen Schülern.
- Im Einzelunterricht entfallen Kontakte mit anderen Schülern und
somit auch eine Reihe von sozialen Motiven, aber auch Störungen durch
Mitschüler beim Gegenstandsbezug.
- Aktionsformen sind die Weisen, in denen der Lehrende agiert.
- Direkt wendet er sich an die Lernenden, z.B. im Vortrag, in der
Frage, im Unterrichtsgespräch.
- Indirekt wirkt er über Situationen, in denen er die Lernenden
bewußt sich selbst überläßt, z.B. schriftliche Anweisungen.
- Urteilsformen beschreiben das wertende Verhätnis, in das der
Lehrende zum Lernenden tritt.
Implizite und Explizite Urteile können zustimmend oder
ablehnend sein.
z.B. die Frage "Hast du das allein
gemacht?" kann Lob und Tadel enthalten, und muss sie andererseits nicht
enthalten.
Medien
Womit wird der
Lernstoff transportiert?
Dies sind Unterrichtsmittel, deren sich Lehrende und Lernende bedienen, um
sich über Intentionen, Themen und Verfahren des Unterrichts zu verständigen.
- Bezogen auf die Intentionen können Medien polyvalent
oder monovalent sein.
polyvalent |
Ein Medium ist für verschiedene Absichten geeignet. |
monovalent |
Ein Medium bezieht sich eindeutig auf ein bestimmtes
Ziel. |
- Die Themen des Unterrichts werden von Medien entweder als
Abbildung wiedergegeben oder als Muster vertreten,
wobei sie jeweils für Gleichartiges stehen. Sie können es auch als
Symbol darstellen.
Abbildung |
Fotos, Filme, Schallplatten, Tonaufzeichnungen |
Muster |
Gesteine, Pflanzen, Tiere, Artefakte |
Symbol |
In Lehrbüchern wird die Thematik jeweils durch Zeichensysteme
repräsentiert. Diese Modelle verweisen auf die Wirklichkeit, auf die sie
bezogen sind, ohne wie Muster ein Teil von ihr zu sein.
|
- In methodischem Zusammenhang sind die Medien oft als
Lehrmittel und Lernmittel geordnet worden.
Lehrmittel |
Medien zur Unterstützung der Lehraktion |
Lernmittel |
zum Gebrauch des Schülers im Lernprozeß |
- Auch auf anthropogene Voraussetzungen sind die Medien bezogen. Ein
Tafelbild des Lehrers von der Kreuzotter wird auf Lernende, die Fotos, Film,
Fernsehen gewohnt sind, anders wirken als auf Lernende vor 100 Jahren.
- Ein zu geringer Vertrautheitsgrad kann die Vermittlung
Stören.
- Der Akzeptionsgrad entscheidet das Maß an Zustimmung zur
Präsentation über das Präsentierte mit
- Soziokulturelle Voraussetzungen (Medienarchive, Filmvorfürräume)
fördern oder hemmen den Mediengebrauch.
Die Korrespondenz
zwischen den Unterrichtsmitteln und den gesellschaftlich gebräuchlichen Medien
und
das Prestige der Medien in der Gesellschaft beeinflussen
die Wirksamkeit des Medieneinsatzes.
Analyse
- Strukturanalyse (Beschreibung)
- Bedingungsfelder
- Entscheidungsfelder
- Bedingungsprüfung (Bewertung)
- Normenkritik:
- Unterrichtsnormen untersuchen auf ihre semantische
Eindeutigkeit als Handlungsanweisungen.
- Ihre Vereinbarkeit miteinander und ihre Begründungen
prüfen.
- nach der Herkunft und nach ihren möglichen Nutznießern
fragen.
- Die prüfbaren Folgen ermitteln, die die Durchführung gehabt
hat.
- Faktenbeurteilung: Überprüfung von Aussagen, die
sich auf Fakten beziehen.
- Formenanalyse: Befragung der Gestaltungsformen des
Unterrichts auf ihre Gebundenheit an die ursprünglichen Voraussetzungen.
Planung
- Strukturplanung ganzer Unterrichtseinheiten
- Bedingungsfelder
- Entscheidungsfelder
- Strukturplanung einzelner Unterrichtsstunden
- unmittelbare Voraussetzungen
- Entscheidungsfelder
- beabsichtigte Weiterführung
- Verlaufsplanung einzelner Unterrichtsstunden
Beispiel einer Verlaufsplanung:
erwartetes Schülerverhalten |
geplantes Lehrerverhalten |
Didaktischer Kommentar |
... |
... |
... |
Schüler spielen die Diskussion von Verkehrsteilnehmern nach einem
Unfall. |
Lehrer regt an, daß in mehreren Variationen ein Schüler als Polizist
hinzutritt
oder
Lehrer spielt selbst einen besonders unsachlichen Polizisten. |
Die Polizistenrolle mit ihrer notwendig der objektiven Klärung
dienenden Funktion wird allmählich herausgearbeitet. |
... |
... |
... |
Entwurfsschemata
zur Unterrichtsplanung
Literatur: