Einführung in Didaktik der Informatik

Wintersemester 2002/2003

Dozent: S. Spolwig

Referent: Sven Otlewski

 

Bewertung von Schülerleistungen

Grundlagen und Verfahren

 

Unter Leistungsbeurteilung versteht man die in vorgeschrieben Formen durchgeführte Überprüfung und Feststellung des Lernerfolgs, d.h. des Ausmaßes, in dem die Lernziele des jeweiligen Faches und der jeweiligen Jahrgangsstufe von den Schülern erreicht worden sind. Sie geschieht in Gestalt von Lernerfolgskontrollen, welche im wesentlichen zwei Funktionen erfüllen:

-  Auskunft über Lernfortschritte und Lernschwierigkeiten zwecks Verbesserung des Lernens

- Grundlage für Beurteilungen in Gestalt von Zensuren und Zeugnissen

Annahme:

                Der Lernerfolg schlägt sich in Gestalt von Leistungen bei Lernerfolgskontrollen nieder und läßt sich an jenen ablesen


Für Leistungsmessungen lassen sich die folgenden Leitlinien nennen:

  1. Aufstellung lernzielbezogener Kriterien
  2. Durchführung regelmäßiger und dokumentierter Messungen
  3. Gewinnung informativer Erkenntnisse für Schüler und Lehrer


Die 1. Leitlinie erfordert die Beschäftigung mit Lernzielen. Aufgestellte Lernziele lassen sich  nach Lernzieldimensionen  und Lernzielhierarchien entsprechend ihrem Anspruchsniveau gliedern. Diese erleichtern die Überprüfung, Ausformulierung und Erfolgskontrolle von Lernzielen.

Lernzieldimensionen unterscheiden in:

Die Lernziele, welche in Lehrplänen und Richtlinien aufgeführt wurden, fallen meist in den kognitiven Bereich.

Die Lernzielhierarchien gliedern Lernziele entsprechend ihrem Schwierigkeitsgrad.
 
für kognitive Lernziele:
 

nach Benjamin S. Bloom 
(Kriterium: Komplexität)
Deutscher Bildungsrat 
(Kriterium: Selbstständigkeit d. Schülers)
Anforderungsbereiche der Abiturprüfung [vgl. GOSTV S. 19]
  1. Kenntnisse 
  2. Verständnis
  3. Anwendung
  1. Analyse
  2. Synthese
  3. Beurteilung
  1. Reproduktion (und Verständnis)
  2. Reorganisation
  3. Transfer
     
  4. Problemlösung
  1. Wiedergabe von Kenntnissen
  1. Anwenden von Kenntnissen
  1. Problemlösen und Werten

 

 
für affektive Lernziele:
 

nach Krathwohl 
(Kriterium: Grad der Internalisierung)
 d. h. 
  1. Aufmerksamwerden/Beachten
  2. Reagieren
  1. Werten
  2. Organisation
  3. Charakterisierung durch einen Wert oder eine Wertstruktur
  1. auf ein Verhalten aufmerksam werden
  2. Bereitschaft zu einem bestimmten Verhalten
    bzw. zu einer Verhaltensänderung zeigen 
  3. das intendierte Verhalten zeigen
  4. Einordnung in eigene Wertvorstellungen
  5. das Verhalten verinnerlichen

 

 
für psychomotorische Lernziele:
 

nach Dave (Kriterium: Grad der Koordination)  d. h.
  1. Imitation
  2. Manipulation
  3. Präzision
  4. Handlungsgliederung
  5. Naturalisierung
  1. Nachahmen
  2. Nachmachen
  3. Selbstständig, präzise ausführen
  4. Koordination versch. Handlungen
  5. Automatisches Ausführen

 
Der Grad einer Leistung zu einem bestimmten Lernziel resultiert jedoch nicht nur aus der Schwierigkeit des Lernziels, sondern auch aus der Schwierigkeit des Lernvorgangs. Letzteres berücksichtigt u. a. die Komplexität der Sache, den vorangegangenen Unterricht, den Bekanntheitsgrad der Aufgabenform , die Selbständigkeit der Schüler und die vom Lehrer bereitgestellten Hilfen.

Folglich bleibt es Aufgabe des Lehrers, mit einem an den Unterrichtsvoraussetzungen orientiertem  System, das Niveau seiner Leistungsanforderungen zu kontrollieren und "objektive" Leistungsmessungen zu ermöglichen.

Es  wird nun ein Beispiel mit allgemein gehaltenen Aspekten zu verschiedenen Lernzielen vorgestellt, die für eine projektorientierte Unterrichtssequenz im Informatikunterricht geeignet erscheinen (kein Schema!). Hierbei wird ersichtlich, dass eine eindeutige Zuordnung eines Lernzieles zu einer bestimmten Dimension selten möglich ist, sondern meist nur eine Dimension überwiegt. Trotzdem wurde die eventuell erreichte Hierarchiestufe nach Bloom, Krathwohl bzw. Dave angegeben, um die obigen Ausführungen zu verdeutlichen. Bei einer Konkretisierung und Operationalisierung (Aufstellung von Indikatoren) der Lernziele, sollten sich mehr Lernziele geringeren Schwierigkeitsgrads ergeben, als Lernziele höheren Anspruchniveaus.



  Die 2. Leitlinie verlangt eine angemessene Organisation der Leistungsmessung.

Zu den  traditionellen Formen der  Leistungsmessung gehören:
 

  • Klausur 
  • Tests oder Kurzarbeiten  
  • Protokoll 
  • mündliche Beiträge 
  • Hausaufgaben  
  • Referate  
  • Facharbeit 
  • Dokumentation 
  • Kolloquium 
  • praktisch-gestalterische Arbeiten 
  • (z. B. Analyse eines Problems und Entwurf zu Teilaspekten) 
  • (u. a. Ermittlung der Bereitschaft zur Mitarbeit am Projekt) 
  • (Was wurde getan, was soll getan werden?) 
  • (innerhalb der Arbeitsgruppen,  zur Diskussion,  ...) 
  • (u. a. sollte die Bereitschaft zur Bearbeitung bewertbar sein) 
  • (z. B. zum Arbeitsstand) 
  • (z. B. als Arbeitsgrundlage eines Teilprojektes) 
  • (als Gemeinschaftsarbeit mit erkennbaren individuellen Anteilen) 
  • (Vorbereitung auf die mündliche Abiturprüfung) 
  • (z. B. am Computer; auch in der Abiturprüfung) 
  • Viele Lernziele lassen sich mit diesen Formen nur schwer messen, so dass verschiedene Formen der Leistungsmessung eingesetzt/entwickelt werden müssen. Der Einsatz vielfältiger Arbeitsformen berücksichtigt auch die unterschiedlichen Neigungen und Fähigkeiten der Schüler, wobei jeder Schüler Gelegenheit zum Durchführen möglichst vieler Formen bekommen sollte.

    Im Informatikunterricht können bei der Durchführung von Projekten fachspezifische Leistungen mittels dokumentierter Zwischenergebnisse zu den Phasen eines modifizierten Software-Lebenszyklus gemessen werden, so dass nicht nur das Projektergebnis in die Bewertung einfließt, sondern ebenso der Projektverlauf.

    Die Moderatorfunktion, auf die sich der Lehrer  in einem Projekt zurückziehen kann und soll, lässt eine Beobachtung des Lernprozesses zu, so dass insbesondere Leistungen zu affektiven und psychomotorischen Lernzielen gemessen werden können.

    Das Verwenden einer Checkliste während der Nachbereitung des Unterrichts erscheint als zweckmäßige Methode zur objektivierten Sicherung von Leistungen; insbesondere zu nicht schriftlich fixierten Schülerbeiträgen. Um Mißverständnissen vorzubeugen: es ist nicht beabsichtigt, dass der Lehrer mit einer Checkliste von Schülergruppe zu Schülergruppe wandert und einzelne Aspekte "abhakt". Dies würde die Ziele des projektorientierten Unterrichts unerreichbar machen. Dies sollte allerdings nicht nach jeder Unterrichtsstunde erfolgen, da sonst die Gefahr besteht, dass die vorgenommen Bewertung noch zu sehr unter den geraden erlebten Einflüssen steht. Eine Bewertung einmal pro Woche bietet also vielmehr die Möglichkeit mit einem gewissen Abstand eine objektivere Bewertung vorzunehmen.

     

    Beispiel einer Leistungsmessung:

    Die Klausur

    a) geeignete Aufgabenarten

    - Analyse einer Problemstellung, Entwurf einer Problemstellung oder ein Vergleich von alternativen Entwürfen

    - Beschreibung und Analyse eines gegebenen Algorithmus bzw. Programms

    - Vervollständigung, Variationen oder Verallgemeinerung eines gegebenen Algorithmus bzw. Programms

    - Funktionale Darstellung von Hard- und Softwarekomponenten eines Rechnersystems unter algorithmischen Gesichtspunkten

    - Analyse und Beurteilung von Materialien zum ethisch-politischen Lernen

     

    b) Grundsätze der Aufgabenkonstruktion

    - die gestellten Anforderungen an den Schüler müssen Unterrichtsziele gewesen sein und nur 10% der Klausur dürfen bzw. sollten darüber hinausgehen

    - die Anforderungen sollten sich weiterhin auf die Inhalte und die Methoden beziehen, die im Unterricht behandelt wurden

    - die Aufgabenstellung muss Art und Umfang der geforderten Leistung präzise beschreiben

    - jede Aufgabe sollte einen leichten Einstieg ermöglichen und dann zu anspruchsvolleren Teilen führen

     

    c) Computereinsatz bei Klausuren?

    Hier spielt der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle. Denn es ist in einer Zeit von vielleicht zwei Schulstunden nicht möglich den Einsatz von Computern, der ohne Behinderung oder Begünstigung ablaufen muss, innerhalb einer Klausur zu gewährleisten. Dies ist allerdings auch nicht erforderlich, da das Erreichen von Lernzielen, die sich auf den Umgang mit dem Computer beziehen, im Unterricht, also in Form von Gruppen-, Projekt- oder Hausarbeiten, viel besser überprüft werden kann.

     

    Folgende Fragen wären an dieser Stelle noch zu erörtern:



    Die 3. Leitlinie stellt die Frage nach dem Sinn und Zweck von Leistungsmessungen.

    Leistungsmessungen dienen

    1. dem Lehrer zur Planung und Steuerung des Unterrichtsverlaufes,
    2. dem Schüler  zur Einordnung seiner Leistungen und zur  Planung seiner Laufbahn und
    3. der Gesellschaft zur Einordnung der Fähigkeiten des Schülers.

    Die Beurteilung einer Leistung, also die Zuordnung von Punkten oder einer Zensur, ergibt sich aus der Anforderung, die im Lernziel formuliert ist und dem Grad der erbrachten Leistung unter Berücksichtigung der Lehr- und Lernvoraussetzungen. Die Beurteilungskriterien (die sich an der Hierarchisierung der Lernziele orientieren können) sollten den Schülern für  kognitive Lernziele, als auch für affektive und psychomotorische Lernziele, bekannt gemacht werden (z. B. Grad der Selbständigkeit bei der Nutzung des Texteditors). D.h. die Kriterien sollten bereits am Anfang des Schuljahres bzw. des Semesters explizit den Schülern durch die Lehrkraft mitgeteilt werden. Die vorgenommene Beurteilung, und damit die Gewichtung der Ergebnisse der Leistungsmessung, sollte nach Abschluss des Schuljahres bzw. des Semesters  gegenüber den Schülern detailliert begründet werden.

     

     

    Literatur:

                 Rüdeger Baumann, Didaktik der Informatik, 2. Auflage, Stuttgart 1996

                 Universität Potsdam/Marco Thomas